DAS SCHÖNSCHREIBEN UND ICH – ODER WIE DAS KLEINE N ALLES VERÄNDERTE

21. Januar 2021
Ein Artikel von: Anja Uebe

KATALIGRAPHIE – WOLMIRSTEDT

Grauer kann ein Tag nicht sein – es ist so ein typischer „heute-wird-es-nicht-hell-Tag“. Mein Navi führt mich nach Wolmirstedt in den Lustgraben – wenn der Name mal nicht Programm ist. An einem schönen alten Fachwerkhaus mit roten Backsteinen ist Endstation. Hier lebt Kathleen Rojahn – ihres Zeichens Kalligraphin – sie erwartet mich bereits lächelnd an der Haustür und ich husche schnell hinein ins Warme. Ein herzliches Hallo kommt auch von Kater Oskar, der gerade um die Ecke tapst und mich erst einmal begutachtet.

„Das Kratzen der Feder über Papier, wenn dies etwas rauer ist; das ist etwas Meditatives.“

Kathleen führt mich ins Wohnzimmer – und ich bin nicht wenig überrascht von der roughen und trotzdem einladenden Atmosphäre ihres Heims – viel pures, altes Holz, Leder, Kerzen in den Fenstern und ein verrauchter und sicher viel benutzter Kamin.

Wir sitzen am großen Holztisch – genau an dem, wo sie auch ihre begehrten Kalligraphiekurse gibt, mit Blick in den Garten und viel Platz zum Schönschreiben.

Kathleen – die Kalligraphie und du, wie habt ihr euch gefunden?

„Damals in der Schule war ich traurig, keine schöne Handschrift gehabt zu haben. Ich musste mich immer entscheiden, konzentriere ich mich aufs Schönschreiben oder auf den Inhalt. Dann als 15-jährige bekam ich einen Brief und ich habe mich in die Schrift verliebt und versucht, sie zu kopieren und nachzuahmen. Ausschlaggebend war der Buchstabe „n“. Diesen Schwung fand ich so bezaubernd und habe solange geübt, bis ich ihn konnte“.

Dann ging einige Zeit ins Land. „Ich befand mich in einem ziemlich fordernden Berufsverhältnis und war auf der Suche und und sehnte mich nach Ausgleich. Da habe ich einen kleinen Laden entdeckt und mir die Nase an der Schaufensterscheibe platt gedrückt – es war die Kalligraphiewerkstatt von Sylvia Walther und kurze Zeit später fand ich mich in meinem ersten Kalligraphieworkshop wieder.

„Die italienische Kalligraphin und Autorin Betty Soldi hat in ihrem Buch sinngemäß dazu gesagt: “…und wenn ihr mich dann ausreichend kopiert habt, traut euch, euren eigenen Weg zu gehen und euren Stil zu entdecken“.“

Wochenlang schrieb ich nur Striche – und war glücklich. Die ersten Buchstaben – es waren gotische Minuskeln – brachte ich dann zu Papier. Andere Schriften folgten. Ich schrieb und schrieb – und wusste, meine Suche hatte ein Ende.“

Das Schreiben wurde zum Hobby, etliche Versuche, Workshops und Erfahrungen mit verschiedenen Materialien und Werkzeugen folgten. Kathleens Ansprüche wuchsen und auch der Wunsch nach mehr. Nach und nach entwickelte sich Kathleens eigene „Handschrift“. Menschen kamen auf sie zu. Erste Auftragsarbeiten ergaben sich, dann die Anfrage „Könntest Du mir das auch beibringen?“

Seit 2018 gibt Kathleen ihr Können in Kursen weiter. „Ich möchte den Teilnehmern in unserem schönen Zuhause einen tollen Tag bereiten. Dieses Handwerk ist meditativ und für mich persönlich ist das Schreiben auch therapeutisch. Mein Leben war früher viel hektischer. Wenn ich schreibe, werde ich ruhig. Das Kratzen der Feder über Papier, wenn dies etwas rauer ist; das ist etwas Meditatives. Die Feder erlaubt dir gar nichts anderes, als sich langsam mit ihr zu beschäftigen. Und das ist genau das, was ich meinen Teilnehmern im Workshop mitgeben möchte: Das Schreiben ist die Einladung. Aber eigentlich geht es um mehr. Alle, die beim Workshop mitmachen, sind am Ende erschöpft, aber glücklich und gehen mit vielen schönen Gedanken nach Hause. Ein reger Austausch ergibt sich, man hört viele schöne Geschichten und hat wundervolle Dinge gelernt – gelacht und auch mal geweint.“

Viele Menschen behaupten von sich, eine
furchtbare Handschrift zu haben
und das mit dem Schönschreiben nicht
hinzukriegen. Was sagst du denen?

„Solche Aussagen kann ich persönlich sehr gut nachvollziehen, schließlich ging es mir mal genauso. Da lässt sich aber immer etwas machen, egal wann und zu welcher Zeit. Eine Grundlage dafür ist die Beobachtung. Was mag ich an meiner Schrift nicht, aber an der Schrift anderer. Sind es bestimmte Schlaufen und Schwünge oder z. B. Buchstaben. Das lässt sich alles antrainieren.

In meinen Workshops lernen die Teilnehmer mit verschiedenen Werkzeugen umzugehen, sich auszuprobieren und von gewohnten Schreibflüssen loszulassen. Es geht darum herunterzukommen, ruhig zu werden. Wenn die Leute sagen – Meine Hand tut weh oder Es kommt keine Tusche aufs Papier, weiß ich, sie sind noch zu hektisch und verkrampft.

Wie gesagt, Disziplin und Ausdauer braucht es, um die eigene Handschrift zu trainieren. Du achtest genau auf die exakte Form von Strichen und Schwüngen, die Haltung deiner Hand und deines Körpers. An bestimmten Punkten musst du sehr diszipliniert arbeiten, um an anderer Stelle frei sein zu können. Irgendwann fließt es dann und es entstehen eigene Kreationen.

Die italienische Kalligraphin und Autorin Betty Soldi hat in ihrem Buch sinngemäß dazu gesagt: “…und wenn ihr mich dann ausreichend kopiert habt, traut euch, euren eigenen Weg zu gehen und euren Stil zu entdecken“.

Das bringt es auf den Punkt. Kathleen bringt andere dazu, ihre Individualität und Kreativität zu finden!

Wenn Du zurückschaust, gab es Hürden, die dir
deinen Weg in die Eigenständigkeit erschwert haben?

„Es war eher eine Erkenntnis, die ich gewonnen habe. Nämlich die, nicht so sehr auf andere zu schauen und sich zu vergleichen. Es gab Zeiten, da habe ich zu viel geguckt, was andere Kalligraphen machen, und oft gedacht, dass ich so etwas niemals schaffe. Davon konnte ich mich, Gott sei Dank, lösen“ sagt sie und lacht.

KONTAKT

Kataligraphie
Kathleen Rojahn
Lustgraben 3
39326 Wolmirstedt

kataligraphie@gmail.de

 

Tel. 0176 – 324 04 810 per Whatsapp
Instagram
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Liebe Kathleen, was macht dich sonst noch glücklich?

„Meine Familie“, kommt sofort. „Dass wir hier so leben können, wie wir es wollen. Mein Mann ist selbstständig tätig und arbeitet in seinem Traumberuf als Zahntechniker. Es macht ihn glücklich, weil er seine Vorgehensweise selbst entscheiden und in einem großartigen Team umsetzen kann. Das wirkt sich auch auf unsere Kinder aus. Wir sind immer kreativ, aktiv, spinnen gern und denken uns neue Projekte aus. Wir lieben altes Handwerk. Im Haus haben wir vieles selbst gemacht. Wir könnten es jederzeit und überall wieder tun.

Einen Traum erfülle ich mir gerade, und zwar das Klavierspiel zu erlernen. Dafür habe ich im Herbst einen Online-Kurs gefunden und begonnen. Ich lerne und spiele in meinem eigenen Tempo und nehme mir Zeit, wann immer ich es einrichten kann. Das empfinde ich als großartiges Geschenk.“

Und auf die Frage hin, was ihr besonders wichtig ist, antwortet sie: „Meine Familie. Ich habe die Gewissheit, dass wir überall mit den Dingen, die wir vorfinden, etwas aufbauen können. Da fällt mir der „Beachscriber“ ein, ein Kalligraph, dem ich auf Instagram folge und der seine Botschaften und Gedanken in den Sand schreibt. Das zeigt, dass es für die Kalligraphie nicht immer das volle Programm an Material braucht. Ein Stöckchen, Sand und eine Hand für zauberhafte Schwünge – fertig.“

Ein kleiner Tipp für die Leser zum Entspannen und schnellen Runterkommen: „Schnapp dir den guten alten Bleistift und erlaube dir, wie ein Kind zu kritzeln. Krikel-Krakel aufs Papier, großzügige Bewegungen, das bewirkt Wunder, vielleicht sogar Glücksgefühle. Wer kennt den Ausdruck „Arztschrift“? Diese großen, kaum lesbaren, aber bedeutungsvollen Schwünge eines Arztes, wenn er ein Rezept ausstellt o.ä.

Schreib mit der Hand etwas in den Sand, Schnee oder auf´s Auto – natürlich nur etwas Nettes – die Bewegung aus der Schulter entspannt und macht dich locker, frei und gelassener. Viel Spaß beim Wieder-mal-Kind-sein-dürfen!“

ANJA

“…ich habe mich während des Gesprächs mit Kathleen daran erinnert, dass ich ebenso einen Buchstaben hatte, den ich besonders niederschreiben wollte – in meinem Fall war es das „A“. Unser Auto ist momentan ziemlich staubig – wir warten mal noch mit der Wäsche…”

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