KOHSIE. FÜR MEHR VIELFALT. OFFENHEIT. UND MITEINANDER

8. Juli 2021
Ein Artikel von: Karolin Janus

KOHSIE – HALLE (SAALE) – 1. DIVERSITY-BUCHHANDLUNG MITTELDEUTSCHLANDS

„Ist das hier der Laden für starke Frauen?“, fragte ein Mann mittleren Alters fröhlich an Sarah gewandt, als er das erste Mal, aber dafür sehr zielstrebig und beschwingt ins kohsie hereinspazierte. Über diese Anekdote haben Sarah (sie/ihre) und ich beim Interview herzhaft gelacht. Vielleicht weil es irgendwie so ziemlich genau wiedergibt, was viele im ersten Moment mit einer Diversity-Buchhandlung verbinden?


Ein Buchladen, in welchem es deutsch- und englischsprachige Bücher von ausnahmslos weiblichen und diversen Autor*innen aller Kontinente gibt

Denn natürlich, bei der 1. Diversity-Buchhandlung Mitteldeutschlands ist es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass nicht jeder sofort weiß, was sich dahinter verbirgt. Dass es neben Neugier und Begeisterung auch Zweifel und sicher auch Unverständnis gibt. Aber das Schöne ist ja, dass wir alle gemeinsam jeden Tag damit anfangen können, offener, verständnisvoller und zugänglicher für Neues zu sein. Und das hat sich Sarah Lutzemann, Gründerin des kohsie, auch ein bisschen auf die Fahne geschrieben.

Denn genau darum geht es bei Diversity und eben auch im kohsie. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich denke immer: irgendwie ist das Wort ‚Diversity‘ in aller Munde, doch abgesehen davon, dass es übersetzt ‚Diversität‘ heißt und in seiner Bedeutung ‚Vielfalt‘ meint, erkennt man nicht immer auf den ersten Blick, was noch alles dahintersteht. Und was somit auch das kohsie alles weiterträgt.


„Es geht hier nicht nur um männlich – weiblich, sondern um andere Sichtweisen, um andere Kulturen,
um andere Persönlichkeitsmerkmale. Es geht um Vielfalt. In jeglicher Hinsicht.“
Sarah

Zuerst ging es schon um die Idee, den Fokus auf weibliche Schriftsteller*innen zu legen. „Anfang 2020 bin ich auf eine Challenge auf Instagram gestoßen und es ging darum, für eine Weile nur noch Bücher von Frauen zu lesen. Und dabei ist mir dann aufgefallen, dass es in meinem eigenen Bücherregal ein ziemliches Ungleichgewicht innerhalb des Spektrums zwischen männlichen und weiblichen Autor*innen gibt. Und so bin ich dann immer weiter in diese Thematik und ja, irgendwie auch in diese Herausforderung eingestiegen, und irgendwann war klar, das soll es werden. So soll meine Selbstständigkeit aussehen.“

KONTAKT

kohsie
am Händelhaus-Karree
Kleine Marktstraße 7
06108 Halle (Saale)

Nur 5 Minuten zu Fuß vom Marktplatz und direkt um
die Ecke der Kleinen Ulrichstraße.

Telefon: 0345 682 529 93
WhatsApp: 0151 421 907 68

mail@kohsie.de
Instagram


ÖFFNUNGSZEITEN
Mo – Mi: 09:00 – 19:00 Uhr
Do – Fr 09:00 – 21:00 Uhr
Sa: 09:00 – 17:00 Uhr

Ein Buchladen, in welchem es deutsch- und englischsprachige Bücher von ausnahmslos weiblichen und diversen Autor*innen aller Kontinente gibt.

Also liegt der Fokus hier im kohsie ganz klar auf weiblichen Schriftsteller*innen, auf Frauen in der Literatur und auch auf Themen, die mit dem weiblichen Körper zu tun haben. „Der Podcast Reading Women hat mich bei meiner Auswahl an Büchern für das kohsie sehr beeinflusst und tut es noch immer“, erzählt mir Sarah. „Doch seitdem ich mich mit dieser Thematik bewusst befasse, merke ich selbst, wie umfangreich und vielfältig das ist, und ich entdecke selbst jeden Tag Neues.“

„Viele diverse und weibliche Autor*innen, aber auch Autor*innen, die sich mit Themen befassen, die vielleicht weniger dem Mainstream entsprechen, kommen oft gar nicht erst auf eine Bestseller-Liste.“
Danny (er/ ihm), Sarahs Mann und Mitarbeiter in der Buchhandlung

Wir gehen durch den Buchladen, und Sarah und Danny greifen immer mal wieder verschiedene Bücher aus den Regalen und erzählen. „Oft durchlaufen viele Autor*innen schon so viele Filter und Raster, bzw. müssen diese durchlaufen und kommen so gar nicht bei den Leser*innen an. Und das, obwohl es durchaus ein Publikum für diese Themen, Sichtweisen und Perspektiven gibt. Mit dem kohsie möchten wir gern mit gängigen Perspektiven, Rollenklischees und vielleicht auch ein wenig mit der gängigen Art der Lektüreauswahl brechen.“ Es geht hier also auch oder ganz besonders um das Thema Perspektivenwechsel.

Danny bringt mich im Gespräch auf eine ziemlich spannende Herangehensweise, sich die nächsten Bücher auszusuchen: „Wenn man normalerweise loszieht, um ein Buch zu kaufen, dann funktioniert das oft so: ich bin so und so, suche ein Buch, weil mich das und das Thema gerade interessiert und das für mich gerade aktuell ist. Doch wie wäre es, wenn wir einmal so tun, als wären wir jemand anderes, z.B. Elternteil eines Kindes, das sich als transgender identifiziert, und würden uns einmal ein Buch aussuchen, welches uns thematisch im ersten Moment vielleicht gar nicht tangiert?“

„Wenn wir offen bleiben für alle Themen, Einstellungen und Lebenskonzepte, dann können wir uns untereinander besser verstehen. Wenn wir offen bleiben, entsteht Verständnis. Und daraus entsteht wieder mehr Miteinander und wiederum mehr Offenheit.“
Danny

„Aktuell möchten wir das Thema ‚systematische Unterdrückung von Menschen mit Behinderung‘ stärker aufgreifen, das heißt wir wählen Bücher von Autor*innen, welche davon betroffen sind, oder Bücher von Autor*innen, die sich mit diesem Thema befassen. Oder wir wählen unsere Kinderbücher danach aus, ob z.B. in der Handlung und Illustration mit den gängigen Rollenklischees ´Junge-Mädchen` gebrochen wird oder die typischen Familienkonzepte aufgelöst werden. Kinder mit einer Behinderung, Kinder aus verschiedenen Kulturen und Kinder aus verschiedenen Familienstrukturen sollen sich repräsentiert fühlen. Das sind unsere Kriterien. Und uns ist es wichtig, dass die Autor*innen, die wir hier führen, einmal anders an die Themen herangehen.“

„Ich versuche immer herauszufinden, wer es geschrieben hat, worum es geht, aber natürlich auch, wie es geschrieben ist. Geht es wieder um überholte Rollenklischees oder gehen die Autor*innen einmal anders an das Thema heran?“
Sarah

Und genau deshalb ist die Auswahl im kohsie auch so vielfältig und inspirierend. In einem kleinen Buchladen lässt es sich meist sowieso besser stöbern, doch hier bleibe ich an jeder Ecke, jedem Regal stehen, weil ich so vieles nicht kenne und überrascht und neugierig bin.

„Hier musst Du nicht unbedingt reinkommen, weil Du ein Buch suchst oder ein ganz bestimmtes Buch im Kopf hast, hier finden die Bücher und Themen Dich.“
Sarah

„Doch natürlich sind hier bei uns auch all jene willkommen, die bereits ein ganz bestimmtes Buch im Kopf haben. Und dabei ist es egal, um welches Thema es geht – wir bestellen zu uns auch gern Bücher, die wir sonst nicht im Sortiment haben. Wir verstehen uns also durchaus auch als kleiner, lokaler Buchhandel.“

„Doch grundsätzlich möchten wir versuchen, Klischees und bestimmte Muster aufzulösen.“ Und das beginnt auch schon bei der Gestaltung des Ladens. Wer ins kohsie kommt, steht erst einmal in einem kleinen Vorraum mit Sesseln, Büchern und Magazinen. Um in den nächsten Raum zu gelangen, gibt es eine Treppe zu überwinden. (An dieser Stelle möchte ich aber erwähnen, dass die Hauptladenfläche auch barrierefrei zugänglich ist.) Ich erfahre, dass das mit dem kleinen Vorraum ganz bewusst so gewollt ist. Warum? – frage ich. „Weil es für introvertierte Menschen das Eintreten erleichtert und weil wir einen hellen, freundlichen Ort schaffen möchten, der es für jeden so angenehm wie möglich macht, im Laden „anzukommen“ und sich hier ein Buch auszusuchen. Natürlich freuen wir uns, wenn wir um eine Beratung gebeten werden, aber wir sind uns eben auch immer bewusst, dass es für viele Menschen eine Hürde oder eine Herausforderung darstellt, in einem Geschäft gefragt zu werden, ob man denn was Bestimmtes suche oder ob man schon was gefunden hat.“ Und, was soll ich sagen: ich fühle mich nun noch wohler als zuvor schon. Was für eine schöne Idee! Nicht nur, dass ich mich persönlich sehr verstanden fühle, nein – einfach die Tatsache, dass sich hier zwei Menschen so viele weitreichende Gedanken gemacht haben – wirklich herzlich und einladend. „Und ebenso möchten wir unsere Kunden*innen auch empfangen – wir möchten, dass es für alle so entspannt wie möglich ist.“

„Lesen bedeutet für mich Gemütlichkeit.“
Sarah

Und apropos Gemütlichkeit, aus diesem Wort ist auch der Name entstanden. „Für mich sind Sonntage Lesetage, und lesen bedeutet für mich Gemütlichkeit“, erzählt mir Sarah „Also steht kohsie für das englische Wort COZY – eben nur in einer Art Lautschrift umgesetzt, und mit dem SIE am Ende wollte ich noch einmal bewusst auf das Weibliche hindeuten.“

Und es war gemütlich. Ich habe mich hier im kohsie bei Sarah und Danny sehr wohl gefühlt. Danke 🙂

Fotograf: Michael Palatini

KAROLIN

“Meine Urlaubslektüre habe ich mir hier bereits gesichert, das Kinderbuch über Greta Thunberg wird nun fast jeden Abend aufgeschlagen und der Austausch über eine diskriminierungsfreiere Schreibe hat mir sehr weitergeholfen.”
.”

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